Wolfgang Stefani: Rezension des Buches „Musik trennt, Musik eint“ von Ed Christian

Dr. Wolfgang Stefani

Dr. Wolfgang Stefani hat 1976 am Avondale College einen Abschluss in Theologie erworben sowie 1981 an der Andrews-Universität einen M. A. in Musik. Er besitzt außerdem einen L. Mus. A in Klavierspiel vom Royal Conservatory of Music [Königlichen Musikkonservatorium]. Während seines Doktorats in Musik und Religion an der Andrews-Universität unterrichtete er die Fächer Gottesdienst und Kirchenmusik am Theologischen Seminar, anschließend von 1993 – 1995 sogar vollzeitlich. Nach zwei Jahren als Theologiedozent kehrten seine Frau und er 1997 nach Australien zurück. Seine gründlichen Studien und Präsentationen zum Thema Musik bieten interessante und wichtige Einblicke, so z. B. über das Fachgebiet der Sentik.

Die folgende Rezension wurde 2004 vom Biblischen Forschungsinstitut (BRI) der Generalkonferenz veröffentlicht (Quelle am Artikelende). Sie bezieht sich auf den englischen Originaltitel Joyful Noise: A Sensible Look at Christian Musik (Lauter Jubel: Ein vernünftiger Blick auf christliche Musik), Review and Herald, 2003, 173 Seiten. Die deutsche Ausgabe Musik trennt, Musik eint ist im selben Jahr im Advent-Verlag erschienen.


„Joyful Noise“ von Ed Christian (2003)

Die Veröffentlichung von Joyful Noise von Ed Christian hat wieder einmal die Musikdebatte stärker in den Mittelpunkt gerückt. Das ist immer positiv zu werten, denn es gibt noch vieles, das wir in diesem komplexen Bereich unseres Lebens in Bezug auf christliche Nachfolge durchdenken und lernen müssen. Joyful Noise ist im Wesentlichen eine überarbeitete Sammlung von vorab veröffentlichten Artikeln, deren Hauptgegenstand eine Kritik des Buches The Christian and Rock Music (Der Christ und die Rockmusik) von Samuele Bacchiocchi ist. Joyful Noise nimmt für sich in Anspruch, „einen vernünftigen Blick auf christliche Musik“ zu werfen, um in Bezug auf ein heikles Thema Wunden zu heilen und dazu beizutragen, verprellten jungen Menschen zu helfen.

Die deutsche Ausgabe „Musik trennt, Musik eint“ vom Advent-Verlag (2003)

Christians Aufruf, Musik dürfe nicht zu einem Stolperstein für die Einheit werden, und jede Art von Musik solle auf den Tisch gelegt und derselben Bewertung unterzogen werden, ist lobenswert. Seine Kommentare zu Videos des Musiksenders MTV sind zu begrüßen, ebenso zu den Themen Unterhaltung, Applaus, zur Notwendigkeit, den Schwerpunkt der Musik im Gottesdienst auf die ganze Versammlung zu legen statt auf solistische Darbietungen, zu den Gründen, die zur Ablehnung herkömmlicher Gemeindelieder [engl. hymns] geführt haben, und zur Notwendigkeit von guten Gesangsleitern. Die letzten rund 60 Seiten spiegeln die Herzenshaltung eines wahrhaft um seine Gemeinde besorgten Seelsorgers wider.

Allerdings machen der Tenor und die offenkundige Zielrichtung dieser Publikation es erforderlich, das Ganze etwas tiefgehender zu betrachten. Der Tonfall ist sarkastisch und die Argumentation schwach. Wer glaubt, dass die Entscheidung eines Christen in Bezug auf Musik hauptsächlich eine Frage des subjektiven Geschmacks ist – dass „jeder Musikstil benutzt werden kann, um eine christliche Botschaft weiterzugeben“ und dass „Gott, egal wie der Musikstil ist, seine Zustimmung und seinen Segen gibt“, solange der Text den Glauben befürwortet und die christliche Einheit nicht bedroht ist –, der wird dieses Buch als willkommene Bestätigung seiner Sichtweise begrüßen. Andere Leser allerdings, die ein Empfinden für die Komplexität des Themas haben und die Notwendigkeit einer objektiveren Herangehensweise erkennen, werden enttäuscht sein, denn es fehlt eine gründliche Analyse von Fragestellungen, mit denen man sich schon seit Jahrhunderten herumschlägt. Hier sind einige wesentliche Kritikpunkte:

Dadurch, dass der Autor seine Diskussion in den Rahmen einer Reaktion auf Bacchiocchis Buch stellt, ignoriert er den größeren Kontext der Debatte, der über die Grenzen christlicher Kirchen, Weltreligionen und Kulturen hinausgeht und ganze Jahrhunderte umspannt. Wenn die Lösung für die Musikdebatte so simpel wäre, wie Christian sie vorschlägt, warum wurde das Problem dann nicht schon vor etlichen Generationen gelöst? Christian vermittelt den Eindruck, als sei der Streit um die Musik im Wesentlichen eine Auseinandersetzung zwischen elitären Liebhabern der klassischen Musik aus der westlichen Welt und denen, die moderne christliche Musik (CCM – Contemporary Christian Music) befürworten. Allerdings ist die zugrundeliegende Frage erheblich komplexer.

Christians Behauptung, die biblischen Aussagen über Musik seien „weniger hilfreich, als wir denken“, und die Tatsache, dass er Ellen Whites Äußerungen völlig ignoriert, sind so verwunderlich wie ungerechtfertigt. Im Gegensatz dazu hinterlässt seine Betonung der angeblich unerlässlichen Notwendigkeit von Klatschen, Tanzen und überschwänglicher Begeisterung die Frage, was denn so verkehrt an der Holy Flesh-Bewegung [wörtl. Heiliges-Fleisch-Bewegung] im Jahre 1900 in Indiana war, gegen die Ellen White Stellung bezog.

Ein enttäuschendes Merkmal von Joyful Noise ist Christians bissige Kritik an wissenschaftlichen Experten aus verschiedenen Fachgebieten. Zum Beispiel macht der Autor den Standpunkt von Calvin M. Johansson lächerlich, indem er ein imaginäres Bild von dessen „Lieblingsgemeinde“ malt und sie als „tot oder sterbend“ darstellt. In Wirklichkeit ist Johansson Professor an einem College der Assemblies of God (Pfingstgemeinden) und bekannt für seine Ausarbeitungen über die Methodik charismatischer Anbetungsmusik.

Christians gebetsmühlenartig wiederholtes Motto im gesamten Buch lautet, Musik sei neutral. Er stellt dies einfach als Behauptung in den Raum, bietet aber an keiner Stelle Belege dafür. Obwohl er zugibt, dass „es einige Stilrichtungen gibt …, die selbst ohne Worte düster und bedrohlich sind“, beteuert er immer wieder, dass „Gott mit jedem Musikstil gepriesen werden kann“. Im Endeffekt kann man, so scheint es, die Aussagen von Christian folgendermaßen auf den Punkt bringen: Jeder soll das tun, was er als richtig empfindet. Eine derartige Subjektivität ist nicht wirklich hilfreich, wenn Menschen das Bedürfnis nach Orientierung haben. Zweifellos können Menschen mithilfe unterschiedlicher Musikstile etwas über Gott erfahren, aber dennoch zieht Gott seine Nachfolger dafür zur Verantwortung, in welcher Weise sie Ihn dargestellt haben.

Wenn wir Christians Sichtweise übernehmen – dass nämlich alle Musikstile gleichermaßen ihre Berechtigung und Gültigkeit haben und die Frage, ob eine Gemeinde Anstoß nimmt, der entscheidende Faktor dafür ist, was in einem Gottesdienst Platz haben soll –, dann geben wir tatsächlich Menschen damit die Legitimation, jedwede gewünschte Musik im Gottesdienst zu spielen und jeweils ihre eigenen Interessengruppen für eine bestimmte Gottesdienstform zu bilden, basierend auf dem gemeinsamen Musikgeschmack. Die Folge ist, dass Musik, statt die Einheit zu fördern, eine umso größere spalterische Wirkung innerhalb unserer Gemeinde entfaltet.

Obwohl Christian über seine Vision von Beziehungen in Gemeinde und Gottesdienst spricht – was anerkennenswert ist –, versäumt er, eine Vision über Musik zu entwerfen: eine Vision darüber, was musikalisch in der Gemeinde „sein könnte“. Seine Musikphilosophie ist durch und durch pragmatisch. Es gibt keinen Appell, keine Notwendigkeit für adventistische Musiker, als Teil unserer ganzheitlichen Botschaft ihren unverwechselbaren künstlerischen Beitrag zu leisten als ein herausragendes, ästhetisch auffallendes Zeugnis in dieser Welt.

Das Schicksal unserer jungen Leute ist viel zu bedeutsam, als dass wir unsere Musik dem Zufall überlassen und uns einfach treiben lassen sollten, ohne eine klare Vision oder Leitlinien über das, was „sein sollte“. Der Kommentar von P. T. Forsyth gilt wie für alle anderen Lebensbereiche auch für die Musik: „Wenn nicht das, was über uns ist, auch in uns ist, werden wir bald dem nachgeben, was um uns ist.“ Ich glaube, dass es in unseren Reihen junge Menschen gibt, die sich mit ihrem jugendlichen Idealismus, ihrer Begeisterung und ihren gottgegebenen Talenten der Herausforderung einer realisierbaren alternativen Musikvision stellen würden. Traurigerweise verpasst Joyful Noise diese Chance.

Quelle: BRI Newsletter, Nr. 5, Januar 2004, S. 9
Übersetzung: Gabriele Pietruska

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